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Geschichte des Sozialgerichts

Auszug aus "Sozialgericht Hildesheim" vom R. Gottschalk


  Bildrechte: Sozialgericht Hildesheim - Marc Rodenberg
Sitzungssaal im Sozialgericht Hildesheim

Das Sozialgericht Hildesheim nahm pünktlich nach der Jahreswende 1954 unter der Leitung von Sozialgerichtsdirektor Dr. Gottwald seine Amtsgeschäfte auf. Ihm zur Seite standen die Richter Koehler, Pfannschmidt, Koop, Kawalla und Weinrich sowie vier Urkundsbeamte, zwei Gerichtswachtmeister, 14 Kanzleikräfte und sieben Hilfskräfte (davon zwei Putzfrauen). Dieses Personal wurde überwiegend vom bisherigen Oberversicherungsamt übernommen, dessen Räume weiterhin genutzt wurden. Drei Richterplanstellen blieben noch unbesetzt, so daß im Laufe des Jahres 1954 Dr. Raubold und die Assessorin Brion ihren Dienst in Hildesheim aufnehmen konnten. Die Büroräume des Gerichts befanden sich im 2. und 3. Stockwerk des Hauses Goslarsche Straße 20 mit einer Fläche von 342 qm. Ein Sitzungssaal stand hier nicht zur Verfügung, so daß weiterhin wie bereits vom OVA Räume des früheren Wehrbezirkskommandos benutzt werden mußten. Bei der Zahl der Richterplanstellenprofitierte das Sozialgericht von einer erst im Jahre 1952 erfolgten Vergrößerung des Oberversicherungsamtes, das seinerzeit wegen der stark steigenden Verfahren von 5 auf 9 Spruchkammern erweitert worden war. Im April 1954 bezog das Sozialgericht weitere Räume (300 qm) in der Binderstraße 33, wo auch ein Sitzungssaal zur Verfügung stand. Zum Entsetzen des Präsidialrichters in Celle erfolgte der Einzug in diese Räume vor Genehmigung des Mietvertrages durch den Sozialminister und den Finanzminister.

Die mündlichen Verhandlungen fanden nicht nur in Hildesheim, sondern auch in Göttingen und Northeim statt. In Göttingen standen Gasträume im Hotel zur Eisenbahn (Groner Landstraße 9) zur Verfügung, doch schon ab dem 1.10.1954 konnten Räume (Sitzungssaal, Wartezimmer und Arztzimmer) im Haus der Verbindung Winfridia angemietet werden (Nikolausberger Weg 17). Der Mitvertrag kam durch Vermittlung des Amtsgerichtsdirektors Henze zustande, der dieser Verbindung angehörte. Das Präsidium stimmte in seiner Sitzung am 1.9.1954 diesem neuen Sitzungsort zu, obwohl der Vermieter einen Heizzuschlag in Höhe von 10,- DM monatlich in den Wintermonaten forderte, die in der Gaststätte „Zur Eisenbahn“ nicht zu zahlen waren. Die Heizung und der Heizzuschlag waren in der Folgezeit häufiges Diskussionsthema mit dem Vermieter, der ab Dezember 1955 wegen gestiegener Kokspreise eine Erhöhung des Heizzuschlages auf 50,- DM durchsetzten konnte. Die Beheizung der Räume verbesserte sich dadurch jedoch nur teilweise, denn das überalterte Heizungssystem war den Anforderungen nicht mehr gewachsen. So kam es weiterhin zu Rücktrittsdrohungen von Sozialrichtern und der Weigerung von Ärzten, im kalten Arztzimmer Untersuchungen durchzuführen. in dieser Situation war für die Beteiligten besonders unerfreulich, daß sie sich während der Beratung des Gerichts auf dem Flur aufhalten mußten. Das Sozialgericht wurde, bedingt durch das studentische Umfeld, auch Opfer eines Studentenstreichs: am 26.2.1960 wurde zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr das aushängende Metallschild mit der Aufschrift „Sozialgericht Hildesheim“ entwendet. Trotz Nachforschungen des Hausmeisterehepaares als „verdeckte Ermittler“ blieb das Schild verschwunden. Die Anzeige bei der Polizei mit dem Antrag, polizeiliche Ermittlungen durchzuführen, wurde fast postwendend von der Staatsanwaltschaft Göttingen dahingehend beschieden, daß das Verfahren eingestellt worden sei, da der Täter nicht habe ermittelt werden können. Ab März 1961 konnte endlich diese letztlich für Sitzungszwecke ungeeigneten Räume aufgegeben werden, weil nunmehr Sitzungssäle im Landgericht zur Verfügung standen. Und nach Fertigstellung des Amt- und Arbeitsgerichts als Anbau zum Landgericht Göttingen fanden (und finden) die Sitzungen des Sozialgerichts Hildesheim fast ausschließlich im Sitzungssaal des Arbeitsgerichts statt.

Northeim war aufgrund einer Anordnung des Sozialministers bis Dezember 1966 Sitzungsort. Hier tagte das Gericht zunächst im Gasthaus „Zur Waage“, bis ab Januar 1956 Räume vom Landkreis in der Teichstraße 28/29 gemietet werden konnten. Diese wurden jedoch bereits im Januar 1957 wieder aufgegeben, weil das Arbeitsamt Northeim in seinem Neubau geeignetere Sitzungsmöglichkeiten bot; für die Möblierung war neben der Miete eine besondere Vergütung in Höhe von 5,- DM monatlich zu zahlen.

In diesen ersten Jahren wurde ein Sitzungstag in den Sachgebieten V, U, J, AR und An 14 bis 18 Klagen verhandelt mit der Folge, daß die Sitzungen zwischen 8 und 10 Stunden dauerten. Auch aus diesem grunde war es schwierig, medizinische Sachverständige als Sitzungsärzte zu gewinnen. Die sachverständigen der ersten Stunde – überwiegend auch schon für das OVA tätig gewesen, waren Dr. Reineke, Dr. Herzog, Dr. Bertl, Dr. Zapke, Dr. Marten , Dr. Horstmann, Dr. Belz und Dr. Cartsburg.

In Hildesheim konnte bereits ab 1.4.1955 das ganze Sozialgericht in einem Geschäftsneubau in der Almstraße 11/12 untergebracht werden. Im Erdgeschoß befanden sich zwei Einzelhandelsgeschäfte sowie ein Kino, das vom Vermieter Dr. Wist betrieben wurde. Die Büroräume des Sozialgerichts inklusive Sitzungssaal befanden sich im 1. und 2. Stockwerk. Die Miete betrug für 626 qm 1000,- DM einschließlich Nebenabgaben. 1962 erhöhte sich der Mietpreis auf 1200,- DM und ab 1.5.1965 auf 2845,- DM, nachdem sich die angemieteten Fläche auf 741 qm erhöht hatten. Nach Umstellung der Zentralheizung von Koks auf Gas, deren Notwendigkeit auch mit dem Argument des Naturschutzes begründet wurde, erhöhte sich der Mietpreis ab 1.8.1972 auf 2917,- DM. Dr. Wist verkaufte das Haus im Jahre 1964 an Wilhelm Wölkhausen. Mit beiden Vermietern entstand im Laufe der Jahre eine umfangreiche Korrespondenz zu dem immer wieder auftretenden Problem, wer und im welchem Umfang die Kosten von Reparaturen zu tragen hatte. Im Regelfall konnte ein Einvernehmen erzielt werden, was auch damit zusammenhing, das Herr Wölkhausen großen Wert auf häufige persönliche Kontakte mit dem jeweiligen Sozialgerichtsdirektor, aber auch mit den Gerichtsangehörigen legte. Herr Wölkhausen entwickelte im Laufe der Jahre erhebliche bauliche Aktivitäten. Erfreulich war die Schaffung weiterer Büroräume im Dachgeschoß (früher: Hausmeisterwohnung), was zur Folge hatte, daß im 1. Stockwerk wieder ein Sitzungssaal eingerichtet werden konnte. Dieser befand sich in den Jahren 1962 bis 1972 im Nachbarhaus Almstraße 8. Unerfreulich war die Umgestaltung der Fassade im Erdgeschoß, denn nunmehr befanden sich der Eingang innerhalb einer Schaufensterpassage (also nicht direkt zur Straße) und wurde häufig von den Inhabern des Geschäfts durch Warenständer verstellt. An das Haus wurde ein Fahrstuhl angebaut, der jedoch für das Sozialgericht unzweckmäßig war und deshalb nicht genutzt wurde. Verschönt wurde die Hinteransicht des Hauses durch eine auf den Fahrstuhlschacht gemalte, sich über mehrere Stockwerke erstreckende langstielige rote Rose.

Beim Einzug des Gerichts n die Almstraße 11/12 befand sich die Tür zum Treppenhaus in der Eingangshalle des Kinos, so daß jeder Gerichtsangehörige, aber auch jeder Besucher, durch die dort ausgehängten Plakate über die aktuellen Filme informiert wurde. Es ging auch nicht ohne Geräuschbelästigung ab, wenn bei schönem Wetter der Filmvorführer sein Fenster öffnete, dann aber auch die Fenster im Gericht geöffnet waren. Ganze Filme konnten so akustisch miterlebt werden, was aber auch zu Mißverständnissen führen konnte. So stürzte eines Tages eine auf dem Fus wartende Klägerin in ein Richterzimmer mit dem Aufschrei „Kommen Sie schnell, da unten wird jemand ermordet!“. Sie hatte gerade die Worte „Ich bringe Dich um!“ aus einem Film gehört und geglaubt, es geschehe ein echter Mord.

In die Verhandlung zwischen Sozialgericht und Vermieter war zuständigkeitshalber auch stets das Hochbauamt eingeschaltet. Und dieses führte am 22.2.1961 gem § 60 der Dienstanweisungen für Oberbaubeamten der Staatshochbauverwaltung von 1910 die Jahresbaubesichtigung durch – daß diese Baubesichtigung regelmäßig jährlich stattfand, ist aus den Akten nicht zu belegen.

Beim Bezug des Gerichtsgebäudes in der Almstraße 11/12 wurden die Räume mit dem Mobiliar des ehemaligen Oberversicherungsamtes ausgestattet, d.h. die Einrichtung war sehr spartanisch. Es gab keine Kleiderschränke, so daß lediglich an der Wand befindliche Kleiderhaken benutzt werden konnten, nachdem die Wand durch Packpapier abgedeckt worden war. Auch Aktenböcke gab es nicht in ausreichender Anzahl, so daß diese aus mit Plastikfolie beklebten Apfelsinenkisten selbst gebastelt werden mußten. Fast ein Jahrzehnt mußten sich die Bediensteten so behelfen, dann JOI Stein, der geschäftsleitende Beamte, war ein Muster an Sparsamkeit und bemüht, möglichst viele Haushaltsmittel nach Celle zurückzugeben. Nach Ende der „Stein-Zeit“ im Jahre 1963 erwarb der Nachfolger, Amtmann Berneiß, dadurch Popularität, daß er die alten Möbel aufarbeiten ließ und auch neue Möbel anschaffte, zuerst für die Richterzimmer und dann für die übrigen Mitarbeiter. Diese Möbel werden teilweise (z.B. Sessel) noch heute genutzt; sie bilden einen interessanten Kontrast zu den moderneren Büromöbeln.

Die Almstraße mit der Fortsetzung Hoher Weg ist die Hauptgeschäftsstraße von Hildesheim. Dementsprechend war das Verkehrsaufkommen und der damit verbundene Lärm, zumal direkt vor dem Gericht eine Bushaltestelle für mehrere Linien bestand. Es war daher eine erhebliche Verbesserung der Arbeitsqualität, als die Almstraße zu einer Fußgängerzone umgebaut wurde. Staubig wurde es allerdings, als das gegenübergelegene Kaufhaus Merkus im Jahr 1970 abgerissen und gesprengt wurden, um einen großflächigen Neubau des Kaufhauses Horten Platz zu machen. Dabei zitterten nicht nur die Fenster, sondern zerbrachen, so auch eine Vase von Frau Ludewig. Der sofort herbeizitierte Sprengmeister erkannte schriftlich die Schadensersatzverpflichtung an, die auch erfüllt wurde.

Es war immer wieder interessant, die mehrtätigen Sacharbeiten zu verfolgen und dann dem Gießen des Neubaus im Spannbetonverfahren zuzusehen. Als kleine Entschädigung für den Lärm und Staub wurden die Gerichtsangehörigen vom Kaufhaus Horten zu inoffiziellen Einweihung des Hauses mit der Möglichkeit eingeladen, zu reduzierten Preisen einzukaufen. Zum Kaufhaus Horten bestanden auch geschäftliche Beziehungen, denn die vom Arbeitgeber ausgegebenen Essensmarken konnten dort eingelöst werden.

Der Personalbestand des Sozialgerichts war naturgemäß wechselhaft und hing im wesentlichen von der Zahl der Richter ab. Die Zahl der Richter stieg bis 1964 auf 15 an, so daß in der Almstraße 8 über der Schlachterei Helmke und oberhalb des Sitzungssaales in den Räumen, die zur ehemaligen Buhmannschule gehörten, ab 1.5.1964 drei Räume für Richter gemietet wurden. 1965 kam es dann aber zu einer erheblichen Verringerung des Richterkollegiums, denn die Sozialgerichtsräte Keßler, Plate und Gronke wurden versetzt, Richter am Sozialgericht Kawalla pensioniert, Richter am Sozialgerich Koehler zum Direktor in Braunschweig ernannt und Richter am Sozialgericht Grave an das LSG abgeordnet. Die Richterzimmer in der Almstraße 8 wurden daraufhin zum 31.12.1966 gekündigt; der dort befindliche Sitzungssaal wurde erst zum 31.12.1972 aufgegeben, nachdem entschieden worden war, daß dem Sozialgericht Sitzungssäle im Neubau des Landgerichts und des Amtsgerichts zur Verfügung zu stellen waren. Die schon rechtzeitig aufgenommenen Verhandlungen mit dem Landgerichtspräsidenten Kohlstädt verliefen zunächst sehr hoffnungsvoll, bis dieser plötzlich die Verhandlungen platzen ließ mit der Begründung, die Sitzungssäle würden gerade für die Sitzungstätigkeiten des Amts- und Landgerichtes ausreichen. Der Präsident des LSG wandte sich daraufhin an den Sozialminister und dieser an den Justizminister. Auf dessen Weisung hin mußten dem Sozialgericht Hildesheim Sitzungssäle im Amtsgericht am Montag und Mittwoch zur Verfügung gestellt werden. Diese Weisung führte zu einer erheblichen Verärgerung beim Landgerichtspräsidenten und zu einem entsprechend frostigen Verhältnis zwischen ihm und dem Sozialgericht. Dennoch konnten konstruktive Vereinbarungen getroffen werden, die zwar zunächst nur bis Dezember 1973 gelten sollten, dann aber bis zur Einrichtung des eigenen Sitzungssaales im Gerichtsgebäude Bestand hatten.

Ende der 70er Jahre verstärkten sich die Bemühungen, ein neues Domizil für das Gericht zu finden, und zwar gemeinsam mit dem Arbeitsgericht, das aus den bisher gemieteten Räumen alsbald ausziehen mußte. Als geeignetes Gebäude kam das ehemalige Arbeitsamt in Betracht. Die Verhandlungen mit dem Vermieter waren schon recht weit gediehen, als durch Ermittlungen des Niedersächsischen Landesrechnungshofes festgestellt wurde, daß im ehemaligen Regierungsgebäude, das vom Landessozialamt bezogen worden war, ausreichend Raum für beide Gerichte vorhanden war. Und so zog das Sozialgericht am 1.7.1981 in die 1. Etage des Neubaus (Flachbau) der ehemaligen Regierung. In das Geschoß darüber zog das Arbeitsgericht und in den Hochbau des Neubaus zogen die Auswärtigen Kammern des Verwaltungsgerichts Hannover. So entstand als Gegengewicht zum großen Justizzentrum an der Kaiserstraße (Amtsgericht, Landgericht, Staatsanwaltschaft) ein kleines im Dombereich.

Seitdem hat sich, auch aufgrund neuer Zuständigkeiten der Sozialgerichte, das Sozialgericht Hildesheim innerhalb des Gebäudes weiter ausgedehnt: Es belegt neben der ersten Etage, in der sich der Sitzungssaal befindet, auch Räumlichkeiten im Erdgeschoss und der zweiten Etage. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt arbeiten 49 Personen bei dem Sozialgericht Hildesheim.

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